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5.15
Ist Wr die Anzahl der Wahrheitsgründe des Satzes "r", Wrs die Anzahl derjenigen Wahrheitsgründe des Satzes "s", die zugleich Wahrheitsgründe von "r" sind, dann nennen wir das Verhältnis Wrs : Wr das Maß der Wahrscheinlichkeit, welche der Satz "r" dem Satz "s" gibt.


5.151
Sei in einem Schema wie dem obigen in No. 5.101 Wr die Anzahl der "W" im Satze r; Wrs die Anzahl derjenigen "W" im Satze s, die in gleichen Kolonnen mit "W" des Satzes r stehen. Der Satz r gibt dann dem Satze s die Wahrscheinlichkeit Wrs : Wr.

5.152
Sätze, welche keine Wahrheitsargumente miteinander gemein haben, nennen wir voneinander unabhängig.

Zwei Elementarsätze geben einander die Wahrscheinlichkeit 1/2.

Folgt p aus q, so gibt der Satz "q" dem Satz "p" die Wahrscheinlichkeit 1. Die Gewißheit des logischen Schlusses ist ein Grenzfall der Wahrscheinlichkeit.

(Anwendung auf Tautologie und Kontradiktion.)

5.153
Ein Satz ist an sich weder wahrscheinlich noch unwahrscheinlich. Ein Ereignis trifft ein, oder es trifft nicht ein, ein Mittelding gibt es nicht.

5.154
In einer Urne seien gleichviel weiße und schwarze Kugeln (und keine anderen). Ich ziehe eine Kugel nach der anderen und lege sie wieder in die Urne zurück. Dann kann ich durch den Versuch feststellen, daß sich die Zahlen der gezogenen schwarzen und weißen Kugeln bei fortgesetztem Ziehen einander nähern.

Das ist also kein mathematisches Faktum. Wenn ich nur sage: Es ist gleich wahrscheinlich, daß ich eine weiße Kugel wie eine schwarze ziehen werde, so heißt das: Alle mir bekannten Umstände (die hypothetisch angenommenen Naturgesetze mitinbegriffen) geben dem Eintreffen des einen Ereignisses nicht mehr Wahrscheinlichkeit als dem Eintreffen des anderen. Das heißt, sie geben -- wie aus den obigen Erklärungen leicht zu entnehmen ist -- jedem die Wahrscheinlichkeit 1/2.

Was ich durch den Versuch bestätige ist, daß das Eintreffen der beiden Ereignisse von den Umständen, die ich nicht näher kenne, unabhängig ist.

5.155
Die Einheit des Wahrscheinlichkeitssatzes ist: Die Umstände -- die ich sonst nicht weiter kenne -- geben dem Eintreffen eines bestimmten Ereignisses den und den Grad der Wahrscheinlichkeit.

5.156
So ist die Wahrscheinlichkeit eine Verallgemeinerung.

Sie involviert eine allgemeine Beschreibung einer Satzform.

Nur in Ermanglung der Gewißheit gebrauchen wir die Wahrscheinlichkeit. -- Wenn wir zwar eine Tatsache nicht vollkommen kennen, wohl aber etwas über ihre Form wissen.

(Ein Satz kann zwar ein unvollständiges Bild einer gewissen Sachlage sein, aber er ist immer ein vollständiges Bild.)

Der Wahrscheinlichkeitssatz ist gleichsam ein Auszug aus anderen Sätzen.


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